“Wir machen das”
Die Gemeinde Roetgen baut ein Haus für Flüchtlinge – nur mit Spendengeld. Der Initiator will damit ein Zeichen setzen.
Von Christian Wernicke
Der schmucke Neubau sieht aus wie manch anderes Doppelhaus in Roetgen: viel Glas, eine rot verschalte Mansarde, ein schwungvolles Dach. Vorm Eingang verlegen Maurer noch Granitplatten, drinnen schraubt der Installateur an der Ökoheizung.
“Das miserable Wetter in diesem Sommer hat uns zwei Wochen zurückgeworfen”, erklärt Bernhard Müller, während er durch den matschigen Vorgarten stapft, “aber bis zum Fest kriegen wir das fertig – bestimmt!” Müller ist Optimist. Immer.
Ohne Müllers Zuversicht hätte Roetgen, die 8500-Einwohner-Gemeinde im Speckgürtel von Aachen, wohl nichts zu feiern an diesem Samstag. Müller und seine Verbündeten im Ort haben etwas gewagt und gebaut, was es bisher nirgendwo in der Republik gibt: Das dreistöckige Gebäude an der Pilgerbornstraße ist das erste Wohnhaus für Flüchtlinge in Deutschland, das allein von privaten Spenden finanziert wird. Samstag ist Einweihung, von Oktober an leben hier 20 Asylbewerber: drei Familien, dazu vier ledige Männer, geflohen aus Syrien, dem Irak oder einem anderen Land im Krieg. 700 000 Euro hat der Neubau gekostet, fast die Hälfte davon brachten die Bürger von Roetgen auf: per Almosen, mit Darlehen und Bürgschaften. Den Kredit von 400 000 Euro wird Müllers Trägerverein (“Roetgen hilft Menschen in Note.V.”) aus den Mieteinnahmen abstottern, die die Stadt für die Unterbringung der Flüchtlinge zahlt.
Mit dem stillen Stolz eines Bauherrn geht Müller durch die Etagen. Der 68-Jährige im rostroten Cordjackett rückt sein Halstuch zurecht, es ist nasskalt an diesem Morgen im “Tor zur Eifel”. So nennt sich Roetgen seit ein paar Jahren. Die fünf Zwei-Zimmer-Wohnungen mit Vinyl-Boden sind noch leer, nur in zwei Küchen stehen Schränke, Tische und je eine Spüle – “alles gespendet”, sagt Müller. “Dies wird kein Ghetto, kein Heim – sondern ein Haus für Flüchtlinge.” Ein Zuhause.
Bernd Vogel, wie Müller Mitglied im Gemeinderat, hat gerade zwei Elektroherde gekauft. 20 Prozent Rabatt konnte er dem Supermarkt abhandeln “für die gute Sache”. Jetzt braucht der Berufsschullehrer Hilfe, um die Geräte ins Obergeschoss zu wuchten. Warum er sich hier abrackert? “Das ist schlicht eine Frage der Menschlichkeit.” Nur, warum klappt das hier besser als anderswo? Vogel, einst CDU, nun parteilos, grinst. “Wegen dem da”, sagt er und zeigt auf Müller, den Grünen.
Müller ist der Motor, das weiß jeder im Ort. Doch der Unternehmensberater mit dem wirren grauen Haar nennt andere Gründe für den Erfolg. Die Bevölkerung sei “wohlhabend, gebildet, weltoffen”. Viele, die in den vergangenen Jahren aus Aachen in die Wälder südlich der Stadt zogen, studieren oder lehren an der Universität. “Wir sind ein Schlafdorf, aber wir haben eine aktive, muntere Bürgerschaft”, sagt
Bürgermeister Jorma Klauss (SPD). Man kennt sich in Roetgen, Müller und seine Mitstreiter genießen Vertrauen. “In einer anonymen Großstadt wäre so ein Projekt kaum möglich”, fügt Klauss hinzu.
Hilfe für Fremde hat Tradition in Roetgen. Vor beinahe 50 Jahren nahm man Polen auf, später die Vertriebenen aus Bosnien und Kosovo. Seit Jahrzehnten existiert ein Flüchtlingsrat. Und dennoch, im Herbst 2015 war auch das kleine Roetgen mit damals 200 Geflohenen überfordert. Alle Parteien stimmten deshalb zu, neue Unterkünfte zu suchen. Der Gemeinde fehlte das Geld – als Ausweg blieb Müllers Bürgerverein. “Eigentlich”, sagt Müller, “war die Sache einfach.” Binnen Wochen fanden sich 357 Wohltätige, die mal 100, mal 500 Euro spendeten oder ein Darlehen über 3000 Euro abzeichneten. Die Spendenbereitschaft sei von einer Welle getragen worden, glaubt Müller: “Das war die Woge des Trotzes – viele wollten ein Zeichen setzen gegen den Aufstieg der AfD.” Die drei berühmten Worte von Kanzlerin Merkel verwandelte Müller zu einem eigenen Motto: “Wir machen das.”
Es gibt Bedenken, auch in Roetgen. Die 17 Familien, die an der Pilgerbornstraße wohnen, sind skeptisch. “Wir wissen nicht, wer da kommt”, sagt Elmar Willemsen, der Sprecher der Siedlungsgemeinschaft. Alarmiert waren die Anwohner über ursprüngliche Pläne, im Neubau bis zu 36 Flüchtlinge unterzubringen. Verein und Gemeinderat sprechen nun von 20, maximal 24 Personen. Das entspannt die Lage, nimmt aber nicht alle Sorgen. Willemsens Tochter ist fünf, er hat die Bilder von der Kölner Silvesternacht gesehen: “Natürlich hat man da schnell Horrorvisionen im Kopf.” Aber er möchte “positiv denken”, und mit der AfD wolle niemand in der Siedlung etwas zu tun haben: “Wenn das Haus gut läuft, haben auch wir kein Problem.” Am Samstag bringt er einen Kuchen zum Fest.
Müllers Idylle ist nicht die Republik. Er weiß das. Dennoch wagt er ein Zahlenspiel. In Roetgen lebe ein Zehntausendstel der Bundesbevölkerung, weshalb “hochgerechnet aufs ganze Land das Modell Roetgen ein Spendenvolumen von drei Milliarden Euro ergebe. “Das wären Häuser für 200 000 Flüchtlinge.” Rein mathematisch.
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Quelle: SZ vom 16.09.2017
Roetgen, den 11. September 2017
Presserklärung
Roetgen hat es einfach gemacht!
Bürger bauen ein Wohnhaus für Flüchtlinge und das ganze Dorf feiert mit.
Einweihungs- und Dorffest am 16.9.2017
357 Bürgerinnen und Bürger aus 256 Familien und Unternehmen in Roetgen bei Aachen (8.500 Einwohner) haben bis heute 80.492.- € gespendet, 186.500.- € als Darlehn und 30.000.- € als Bürgschaft zum Bau eines Hauses für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt. Bauherr ist ein breit unterstützter Bürgerverein.
Da Roetgen etwa 1/10.000 der Einwohner Deutschland hat, ist das verglichen mit Deutschland so, also ob3,6 Mio. Bundesbürger 3 Mrd. Euro zum Wohnungsbau für 200.000 Flüchtlinge gesammelt hätten, eine so in Deutschland wohl einmalige Aktion der bewussten Absage an Fremdenfeindlichkeit und für mehr Mitmenschlichkeit.
Nur 11 Monate nach dem ersten Spendenaufruf ist jetzt das Haus fertiggestellt. Die Gemeinde und der Verein feiern die Einweihung gemeinsam mit allen Bürgern in einem großen Dorffest.
Am 16.9.2017 um 16h findet die feierliche Übergabe des Rupert-Neudeck-Hauses an die Gemeinde Roetgen „für Menschen in Not“ in Roetgen statt. Das Ortskartell, also die Vereinigung der Roetgener Vereine,unterstützen diesesFest mit Rat und Tat. Verschiedene Vereine haben praktische Aufgaben übernommen. Es erfolgt eine ökumenische Einsegnung, an der auch ein Imam beteiligt sein wird.
Dieses Haus beruht auf einer Initiative aus der Mitte der Bürgerschaft: Aus dem Gemeinderat und dem Flüchtlingsrat heraus hat sich ein gemeinnütziger Verein gebildet, der sich zur Aufgabe gestellt hat, unter dem Motto: Wir Roetgener, wir machen das einfach!“ die Roetgener Bürger zu mobilisieren, den Bau dieses Haus finanziell und ideell zu unterstützen und damit gerade heute ein Zeichen zu setzen.
Dank der überwältigenden finanziellen Unterstützung, dieRoetgenerFamilien, Parteien und Unternehmen geleistet haben, aber auch dank der Unterstützung des Landes, der Städteregion und unserer Gemeinde ist es möglich geworden, hier in Roetgen ein „Haus für Menschen in Not“zu bauen (Baukosten gesamt ca. 700.000.-€).
Unser Bürgermeister Jorma Klauss schreibt dazu:„Das Projekt ist …ein Musterbeispiel für das bürgerschaftliche Engagement für Flüchtlinge in Roetgen. Es findet seine Unterstützung durch die Gemeindeverwaltung, den Roetgener Flüchtlingsrat und alle politischen Parteien in Roetgen, die fast alle auch im Verein repräsentiert sind. Dieses Projekt ist insoweit wahrscheinlich bundesweit einzigartig.“
Unser nach modernen und ökologischen Gesichtspunkten massiv gebautes Haus hat 316 qm Wohnfläche aufgeteilt in 5 Sozialwohnungen in der Größe von 55 bis 62 qm für ca. 20 Flüchtlinge, vorwiegend Familien. Dazu kommt ein Betreuungs- und Kommunikationsraum für die systematische Integrationsarbeit unseres Flüchtlingsrats. Für jeden Flüchtling stehen so ca. 15 qm Wohnfläche zur Verfügung, mehr als doppelt soviel wie der Mindeststandard. Für Kinder wird ein großzügiger und attraktiver Spielplatz auf dem 878 qm großen Grundstück eingerichtet, der auch allen Nachbarskinder zur Verfügung stehen wird – auch als Beitrag aktiver Integration. Das Haus entstehtdeshalb auch mitten in einem Wohngebiet und fügt sich darin in Größe und Bauart vollständig ein. Es entspricht damit auch den Festlegungen der Gemeinde Roetgen, keine Ghettos für Flüchtlinge zuzulassen.
Zwar ist das Haus gegenwärtig für Flüchtlinge gebaut worden, aber es soll langfristig für alle Menschen in Not zur Verfügung stehen.
Die Nachbarn, die zunächst große Bedenken hatten, haben inzwischen ihre Unterstützung bei der wichtigen Integrationsarbeit zugesagt, einzelne sind sogar Mitglied in unserem Verein geworden.
Der Verein hat beschlossen, das Haus Rupert-Neudeck- Haus zu nennen. Wir wollen damit an den kürzlich verstorbenen unermücllichen Helfer und Kämpfer für Flüchtlinge erinnern, der beginnend mit dem Schiff Kap-Anamur in den 70iger Jahren des letzten Jahrhunderts wie kein anderer zur heute in Deutschland breit verankerten Bereitschaft beigetragen hat, Flüchtlingen und Menschen in Not die Hand zur Hilfe und Lebensrettung zu reichen.
Zur Geschichte unseres Vereins, siehe nächste Seite.
Weitere Informationen entnehmen Sie bitte unserer Homepage www.roetgen-hilft.de
und folgenden Artikeln der Eifeler Nachrichten/Zeitung
http://www.aachener-nachrichten.de/lokales/eifel/verein-will-fluechtlingsunterkunft-bauen-1.1351569
und
http://www.aachener-nachrichten.de/lokales/eifel/spendenaktion-roetgen-hilft-sammelt-fuer-neues-fluechtlingsheim-1.1414362
Selbstverständlich stehen wir Ihnen jederzeit für weitere Informationen zur Verfügung. Sie erreichen uns über die Email: bernhard.mueller@roetgen-hilft.de oder über die Mobilnummer 01722032229. Wir vermitteln Ihnen gerne auch Gesprächspartner aus den unterstützenden Parteien oder dem Flüchtlingsrat. Der Bürgermeister ist erreichbar unter der Nummer 02471 18-60.
Bernhard Müller Johannes Pössinger
Vorsitzender stellv. Vorsitzender